Es ist eine Geschichte mit Risiken und Nebenwirkungen: Auch eine Tablette ohne Wirkstoff kann die körperliche Befindlichkeit beeinflussen. Aber der Placebo-Effekt beruht auf einer Täuschung, und dafür ist im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient kein Platz.
Prof. Dr. med. Peter E. Ballmer, Direktor Departement Medizin
Kurz gesagt: Worauf beruht der Placebo-Effekt?
Wir betrachten den Menschen als Einheit. Das Hirn beeinflusst den Körper und der Körper das Hirn, hier löst jeder therapeutische Schritt gewisse Erwartungen aus. Selbst wenn ich ein pharmakologisches Nichts geschluckt habe, wird mein körperliches Befinden davon beeinflusst. Doch ein Placebo ist kein Heilmittel. Es macht den Kranken nicht gesund, vielleicht aber kann es ihn beruhigen.
Verschreiben Sie Placebos?
Nein. Wir behandeln die Patienten real und informieren sie wahrheitsgetreu. In diesem Vertrauensverhältnis hat nichts Platz, das an Scheinbehandlung oder gar Schummelei grenzt. Der Arzt darf seinen Patienten nicht täuschen. Ein fataler Vertrauensbruch wäre der Einsatz von Placebo-Medikamenten vor allem dann, wenn man einem Kranken damit das wirkliche Heilmittel vorenthalten würde.
Also ein Hausverbot für Placebo?
Es sind schon Situationen denkbar, in denen der Placebo-Einsatz vertretbar wäre: Wenn zum Beispiel in der Schmerztherapie eine organische Krankheit ausgeschlossen werden kann und der Patient über die Besonderheit der «wirkungslosen» Tabletten informiert ist. Ein gewisser Placebo-Effekt kann selbst dann noch eintreten.
Heisst das, eine Prise Placebo-Effekt spielt immer mit?
Ja, auch wirkliche Medikamente lösen Erwartungen aus. Deshalb wird selbst eine seriöse Therapie quasi unbemerkt stets von einem gewissen Placebo-Effekt begleitet, wobei hier natürlich der Wirkstoff selbst im Vordergrund steht. Parallelen dazu gibt es auch im Atmosphärischen: Eine gute Kommunikation im Umfeld der Behandlung fördert den Genesungsprozess. Gegen diesen Effekt ist natürlich nichts einzuwenden.
Kennt auch die Chirurgie dieses Phänomen?
Selbst nach chirurgischen Eingriffen können Placebo-Effekte eintreten und als kleine Begleiterscheinungen den Genesungsprozess etwas unterstützen. Man weiss das aufgrund von Studien mit Scheinoperationen («Sham-Operations») aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Chirurgen öffneten Herzpatienten den Brustkorb, tasteten das Herz kaum an und nähten wieder zu. Die Patienten fühlten sich nachher besser. Heute wäre diese Aktion schon aus ethischen Gründen undenkbar.
Kann ein Placebo nur Symptome einer Krankheit beeinflussen oder auch Ursachen?
Das Placebo wirkt im Kopf, es tangiert vor allem die Symptome. Allerdings lässt sich die glasklare Trennung zwischen Symptom und Ursache nicht überall aufrechterhalten, bei Stress oder Schmerz zum Beispiel verwischt sich die Grenze.
Hat auch «kein Medikament» Risiken und Nebenwirkungen?
Ja, lesen Sie die Packungsbeilage. «Verspricht» diese mögliche Kopfschmerzen und Müdigkeit, dann fühlen Sie sich in den nächsten Tagen wahrscheinlich weniger fit als sonst. Bei dieser Reaktion auf ein Stück Papier spielt es keine Rolle, ob die Stichwörter «Kopfschmerzen» und «Müdigkeit» der Packungsbeilage zu einem Placebo oder zu einem echten Medikament entnommen sind. Man spricht hier vom Nocebo-Effekt, dem unbehaglichen Pendant zum Placebo-Effekt.